Szenarien nach dem ersten Shutdown

Corona Shutdown – und dann wie weiter?

Shutdown in Deutschland bis mindestens Ostern. Oder eher länger. Gesundheitsminister Jens Spahn spricht von Monaten statt Wochen und eher undenkbar erscheint vor dem Peak der Covid-10 Pandemie (mindestens bezogen auf Deutschland) wieder „alle raus“ zu lassen, wieder alles hochzufahren.  Nur wann kommt der Peak? Ist er überhaupt definiert? Und was dann? Im Folgenden ein Versuch der Einordnung der wichtigsten kommunizierten Parameter und die Entwicklung von vereinfachten Szenarien.


Status Shutdown

Deutschland reagierte eher spät mit seinem Shutdown und wird seine Maßnahmen mit höchster Wahrscheinlichkeit noch verstärken. Deutschlandweit gilt mehr oder weniger gleichlautend: Einstellung des Schulbetriebes, der Unis, Kindergärten, der meisten Gatronomiebetriebe (oder mindestens starke zeitliche Einschränkung), der meisten Geschäfte und der Umstellung auf Homeoffice wo immer es möglich ist und noch einige weitere Maßnahmen, Verordnungen und Verbote.

Das Prinzip dabei: Einer geht voran, andere oder alle anderen Bundesländer, Gemeinden etc. ziehen nach. Das ist natürlich ein sich selbst verstärkendes Prinzip welches trotz aller Verweise auf Verhältnismäßigkeit, Freiheit und Grundrechte nur eine Richtung kennt: Strenger. Und dies auch und vielleicht sogar vor allem weil sich dies die verunsicherte Bevölkerung wünscht, ja fordert. Vielleicht zu recht, aber das soll hier (noch) nicht das Thema sein.

Es gilt also die Aufforderung daheim zu bleiben und soziale Kontakte außerhalb der eigenen vier Wände auf das Notwendigste zu minimieren, also auf Arbeit (im Idealfall nur „System-relevante-Arbeit„), Einkaufen und unbedingt erforderliche Arztbesuche.


Medizinische Kapazitäten nicht überfordern

Die Begründung für diese in Deutschland (und überwiegend auch weltweit) einmalig radikalen Maßnahmen wurde dabei auf allen Kanälen wiederholt kommuniziert: Die Ausbreitung des Coronavirus, die nicht mehr zu stoppen ist, zu verlangsamen, um so die Kapazitäten in den Krankenhäusern und konkret den verfügbaren Intensivbetten, mit der Möglichkeit der künstlichen Beatmung, nicht zu überschreiten. Die Überschreitung dieser Kapazitäten, die eben nicht auf die Schnelle beliebig aufstockbar sind (zumal dann nicht, wenn ebenfalls infiziertes Personal ausfällt und es schlichtweg an Geräten fehlt, weil diese weltweit ausverkauft sind) ist die aktuelle Priorität. Es geht also um die Verflachung der Infektionskurve, eine Dehnung des Zeitablaufes.


Endpunkt Herdenimmuninität

Ein Ende der Epidemie bzw. Pandemie sehen Wissenschaftler und Politiker erst wenn eine sogenannte „Herdenimunität“ erreicht wird, die auch als „Durchseuchung“ bezeichnet wird und ungefähr erreicht ist, wenn 50-70% der Bevölkerung eine Covid-19 Erkrankung durchlebt und dadurch Antikörper entwickelt haben, also immun sind. Ein Teil der Bevölkerung wird in diesem Durchseuchungsprozess natürlich auch gestorben sein und ein Teil wird vielleicht in einer späteren Phase durch einen gefundenen Impfstoff immunisiert. Eine noch offene Frage (neben vielen anderen offenen Fragen) ist dabei, wie lange die Immunität wirkt.

Ziemlich einhellig ist dabei die Ansicht der Wissenschaftler, dass auch bei einem beschleunigten Test- und Genehmigungsverfahren ein Impfstoff nicht mehr in diesem Jahr (2020), also auch nicht vor dem Peak der Pandemie, eingesetzt werden kann.

Wir haben also nach aktuellem Stand einige Parameter, die zwar nicht fix, aber immer wieder kommuniziert werden und von denen wir deshalb ausgehen, wenn wir im Folgenden Szenarien ableiten.


Annahmen als Parameter

  • Der Virus hat bereits eine solch große Verbreitung, dass eine komplette Eindämmung auch mit den radikalsten Maßnahmen nicht mehr möglich ist.
  • Was noch möglich erscheint: Die Verlangsamung der Ausbreitung durch radikale Maßnahmen, sprich: Möglichst jeder meidet soziale Kontakte und Erkrankte werden, soweit identifiziert, isoliert bzw. isolieren sich selbst.
  • Ein Ende der Epidemie ist erreicht, wenn 50-70% infiziert und damit entweder immun oder tot sind.

Exponentielle Infektionsrate – Zahlenspiele

Bezogen auf Deutschland entsprechen 50-70% Infizierte ca. 50 Mio. Menschen. Geht man von 20% schweren Fällen aus, so ergeben sich daraus über den gesamten Zeitraum, 10 Mio. schwere Fälle. Bei einer Mortalität von 1% (oder mit 0,7 darunter) würde sich daraus eine theoretische Anzahl von bis zu 500.000 Toten ergeben.

All diesen Hochrechnungen sind reine Spekulation, auch wenn einige Parameter sich zu verdichten scheinen. Es ist offenkundig, dass 10 Millionen schwere Fälle nicht in einem sehr kurzen Zeitraum ausreichend behandelt werden können, zumal bei der Annahme, dass ein solcher Patient ein Bett oder die Intensivmedizin ca. 14 Tage belegt.


Zitat Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts: Wenn es nicht gelinge, die Infektionsfälle zu reduzieren, könne es in Deutschland in zwei oder drei Monaten bis zu zehn Millionen Corona-Patienten geben. Von ihnen müsste dann auch ein gewisser Teil in die Klinik.

Und in diesem Zusammenhang: Am Dienstag verständigte sich Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) mit den Bundesländern auf ein „Grobkonzept Infrastruktur Krankenhaus“, laut dem die Zahl der 28.000 Intensivbetten bundesweit verdoppelt werden soll. Rehakliniken, Hotels und Hallen sollen zudem umgerüstet werden, um „Krankenhäuser für schwerere Verläufe“ zu entlasten, heißt es in dem Papier.


Hochrechnung Anzahl Intensiv-Betten

50.000 – 60.000 Betten – alle zwei Wochen neu belegt entspricht einer Bettenkapazität von ca. 600.000 Betten in einem halben Jahr. Wie bei allen theoretischen Annahmen und Hochrechnungen ist die Frage der Haltbarkeit in der Praxis.

  • Kann man die Bettenzahl wirklich schnell verdoppeln?
  • Hat man genug Beatmungsgeräte und ausreichend geschultes Personal?
  • Kommen noch weitere Unbekannte hinzu (im Zweifel die Eigenschaften des Virus selbst) oder Ausfälle durch Personal z.B. auch durch unzureichende Schutzkleidung und damit eigene Erkrankung?

Wann kommt ein Impfstoff?

Eine Immunität durch Impfung ist angesichts der akuten Lage, der schnellen Verbreitung und der nur bedingt beschleunigbaren Impfstoffgewinnung (Forschung, Testung, Produktion, Impfung) nicht realistisch. Darüber sind sich praktisch alle in Erscheinung tretenden Experten einig. Eine Impfung kann demnach nur noch in einer späten Phase wirken oder ähnlich wie bei Influenza als jährlich aktualisierbare Impfung auch gegen Covid-19 Varianten, die z.B. immer wiederkehrender Bestandteil von Grippewellen sein könnten.


Szenarien

Was folgt daraus oder was könnte daraus folgen? Damit kommen wir zu den Szenarien, die sich aus den genannten Parametern ableiten lassen.

Szenario 1

Unkontrollierte Verbreitung bzw. zu später Shutdown. Die Zahlen der Infizierten steigen exponentiell an. Hierbei ist es fast irrelevant ob sie sich alle 1,2,3 oder 4 Tage verdoppeln, da bereits nach kurzer Zeit so große Zahlen erreicht werden, dass unsere medizinischen Kapazitäten überschritten wären. Die Folge wäre: Es würden nicht nur die angenommenen 0,7-1% sterben, die auch bei einer guten medizinischen Versorgung sterben würden, sondern eine weit größere Anzahl, eben weil sie nicht entsprechend behandelt werden könnten.

Zur Illustrierung des exponentiellen Wachstums eine vereinfachte Hochrechnung bezogen auf Deutschland mit einer ca. Verdopplung der Infizierten alle 2-3 Tage.

  • 20.3.2020: 15.000 Infizierte
  • 23.3.2020: 30.000
  • 26.3.2020: 60.000
  • 29.3.2020: 120.000
  • 01.04.2020: 240.000
  • 04.04.2020: 500.000
  • 07.04.2020: 1.000.000 (1 Millionen!)
  • 10.04.2020: 2.000.000
  • 13.04.2020: 4.000.000
  • 16.04.2020: 8.000.000
  • 19.04.2020: 15.000.000 (15 Millionen!)

Dieses Rechenspiel einer exponentiellen Kurve oder eine Verdopplung der Infizierten in einem schnellen Intervall verdeutlicht, dass man ohne radikale Eindämmung mit hoher Wahrscheinlichkeit rasant in einem äußerst kritischen Bereich wäre – und sowieso im Sinne der vorhandenen medizinischen Kapazitäten aka Intensivbetten. Dieses oder ein ähnliches Szenario vor Augen dürfte die Politik zu den aktuellen radikalen Maßnahmen – und möglichen weiteren Maßnahmen – motivieren bzw. motiviert haben.

Gehen wir von einer Dunkelziffer von mindestens im Faktor 2 oder eher höher aus, wäre so allerdings auch die sogenannte Herdenimunität bereits im Sommer vermutlich erreicht. Dies gilt auch für das nachfolgende Szenario 2 – selbst wenn eine starke Verlangsamung durch den Shutdown erreicht wird.


Szenario 2

Erfolgreicher Shutdown im Sinne einer deutlich spürbaren Verlangsamung. Natürlich wirkt ein Shutdown. Wenn sich weniger Leute treffen, werden auch die Ansteckungen verlangsamt.

Das Problem: Ist der Virus bereits weit verbreitet, kann auch eine starke Ausbremsung im Zweifel nicht ausreichend bremsen. Zumal bei einer anzunehmenden sehr hohen Dunkelziffer, die theoretisch auch im Faktor 5-10-20 höher sein kann als die durch Tests ermittelten Fälle.

Denn selbst wenn die Verdopplung nicht mehr alle 2-3 Tage, sondern nur noch alle 10 Tage stattfindet (was schon eine sehr erfolgreiche Verlangsamung wäre), wird zwar erheblich Zeit gewonnen, aber dennoch wird man noch im Sommer eine extrem hohe Zahl an Infektionen erreichen.

  • 20.3.2020: 15.000
  • 30.3.2020: 30.000
  • 10.4.2020: 60.000
  • 20.4.2020: 120.000
  • 30.04.2020: 240.000
  • 10.05.2020: 500.000
  • 20.05.2020: 1.000.000
  • 30.05.2020: 2.000.000
  • 10.06.2020: 4.000.000
  • 20.06.2020: 8.000.000
  • 30.06.2020: 15.000.000

Aber auch hier bewegt man sich im Reich der reinen Spekulation. Während man einen sich ungehindert verbreitenden Virus noch relativ gut simulieren kann (wenn man ausreichend Parameter kennt), so lässt sich die bremsende Wirkung eines Shutdown nur im Nachhinein berechnen. Hier fehlt es auch schlichtweg an Erfahrungen.

Nun: Die Kurve wird in jedem Fall flacher und diese Verflachung könnte, so die Hoffnung, genau ausreichend sein um immer knapp unter der medizinischen Kapazitätsgrenze zu bleiben.

Die Frage ist: Wann soll man den Shutdown wieder beenden? Erst wenn XY% infiziert sind? Wenn ein Impfstoff da ist? Oder mindestens ein erfolgreiches Mittel zur Behandlung der Symptome oder Senkung der Virenlast?


Szenario 2A: 1 Jahr Shutdown

Shutdown ausdehnen bis Gegenmittel gefunden ist und auch ein Impfstoff – also ca. 1 Jahr.

1 Jahr Shutdown würde die ohnehin bereits absehbar kollabierende Wirtschaft inklusive allen Dominoeffekten (Banken, Finanzsystem, Arbeitslosigkeit, Insolvenzen, Kreditausfälle etc.) noch weiter, noch tiefer verschärfen. Die Gesellschaftlichen und auch psychologischen Effekte – auch die gesundheitlichen! – der Bevölkerung sind dabei schwer zu ermitteln, sie dürften aber gravierend sein.


Szenario 2B: Shutdown on/off

Erstmal Shutdown bis Ende Ostern – der dann mit hoher Wahrscheinlichkeit bis Pfingsten ausgedehnt wird und dann mal sehen. Im Idealfall immer knapp unter der maximalen Belastung bleiben und währenddessen natürlich anpassen, nachrüsten, aufstocken der medizinischen Kapazitäten und weiterforschen.

Auch in diesem Szenario ist schwer vorstellbar, dass im Sommer die Leute raus gelassen werden. Und selbst wenn Deutschland oder ein anderes Land reisen lässt, man dürfte in kaum andere Länder reinkommen. Wird die Schule wieder geöffnet, so braucht dort nur 1 Fall auftreten und sie wird mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder geschlossen, worauf alle wieder schließen.

Ist ein solches Shut-up-and-down machbar und vermittelbar? Wie soll sich neben den Menschen bzw. ihrer Psychologie die Wirtschaft als Ganzes, die Märkte, die Finanzwirtschaft etc. darauf einstellen? Oder kann es, positiv gedacht, bei guter Vermittlung als ein immer wieder vernünftiges Anpassen an die jeweilige Lage bewähren?


Szenario 2C: Totaler Shutdown mit Übergang in differenzierten Shutdown

Totaler Shutdown geht über in differenzierten Shutdown in dem z.B. Nachtleben weiter zu bleibt. Schulbesuch nur nach Bedarf (keine Schulpflicht), Großveranstaltungen bleiben verboten und Schutz der Älteren/Risikopatienten.

Weiter auch Grenzkontrollen und erhöhte Hygienestandards auch im öffentlichen Leben. Gerade letzter Punkt hat in Deutschland (anders als teilweise in den Metropolen Asiens) keinerlei Tradition. Hier könnten wahrscheinlich noch Potentiale liegen.


Fazit

Die Wirkung des praktisch erst ab jetzt wirkenden Shutdowns in Deutschland lässt sich in ca. zwei Wochen ablesen, wenn die schwereren Erkrankungen der bereits heute Infizierten in die Krankenhäuser kommen.

Bezüglich der genannten Szenarien A, B und C scheinen wir uns bzw. die Politik in Beratung mit den Wissenschaftlern (bisher überwiegend den Virologen und Epidemilogen) noch nicht entschieden. Es besteht eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Shutdown über Ostern hinaus geht, aber nicht durchgehend in voller Härte bis Herbst durchgezogen wird. Neben den medizinischen Problemen dürften sonst auch andere Probleme zu dominant werden. Ökonomische, aber eventuell auch Probleme der Logistik und Versorgung.

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