Lady Gaga in Rio

Ist das noch Popkultur – oder schon Okkult-Ritual?

Ein Megakonzert, zwei Millionen Körper, eine Hohepriesterin und die Frage nach der Bedeutung der Zeichen.

Am 3. Mai 2025 trat Lady Gaga mit einem kostenlosen Open-Air-Konzert am Strand von Copacabana in Rio de Janeiro auf. Die Veranstalter zählten offiziell über eine Million Besucher, einige Medien sprechen sogar von bis zu zwei Millionen Menschen, die sich am Strand und in den Straßen versammelten – was das Konzert zu einem der größten Einzelauftritte eines Popstars in der Musikgeschichte macht. Die Performance bombastisch und, wie nicht anders zu erwarten, ikonografisch aufgeladen: Knochen, Totenschädel und Lady Gaga als gigantomatisch-traumatische Hohepriesterin aus der Hölle.

Es war ein Massenspektakel, das sich ästhetisch einer Symbolsprache bediente, die sich zwischen okkult, sakral, satanisch und popreligiös bewegte – irgendwo zwischen Gaga, The Cell und einem Gucci-Werbespot aus der Hölle.

Von der Blasphemie zum Branding

Blasphemie war in der Popkultur nie neu. Seit es Pop gibt werden religiöse Motive und Symbole integriert, persifliert und auch pervertiert – Madonna, Marilyn Manson, Depeche Mode, Kanye West oder Rammstein haben mit Kreuzen, Heiligenposen, Blut und Bibelmotiven gearbeitet – oder auch die Sau rausgelassen. Man konnte und kann das einordnen unter Protestästhetik, Provokation, also Reibung an der moralischen Mehrheit. Aber reibt da wirklich noch was oder hat es das je, wirklich?

Knochen, Schädel, Hölle, Satan sind im Pop geradezu hyper-gewöhnlich, Platzhalter, Default-Mode. Die Verpackung des Sakralen in popkulturelle Codes sowieso lange schon zur Marke geworden. Teufel, Phallus und Engel in Latex sind längst Teil des globalen Showdesigns – von TikTok-Edits bis zu H&M-Shirts. Was früher als „okkult“ galt, ist nun Teil eines durchdesignten Bühnenbilds. Gaga weiß das – sie spielt es mit, aber sie steigert es.

Ritual oder Replik?

In Rio stand Gaga nicht nur als Popstar auf der Bühne, sondern als ritualisierte Führungsfigur. Ihre Pose: Hohepriesterin, Schamanin, Hoheitswesen. Die Ästhetik: nicht metaphorisch, sondern wörtlich – Schädel, Knochen, Feuer. Das ist nicht mehr nur „dunkel“ – es ist symbolisch übercodiert. Es verweist nicht nur auf das Okkulte, es simuliert es. Und das ist der Punkt: Es ist Simulation, keine Teufelsanrufung. Aber: Ein Ritual bleibt ein Ritual – auch wenn es nur gespielt ist.

Das wissen alle, die sich je mit Symbolik beschäftigt haben: Die Wirkung eines Rituals entsteht nicht nur durch Intention, sondern durch Form, Wiederholung, Raum und Kollektivität. Wenn zwei Millionen Menschen sich auf ein Set von Zeichen einigen – egal ob ernst oder ironisch – dann entsteht Energie. Dann wirkt es.

Das Dunkle als Standarddesign der Popkultur

Die eigentliche Frage ist nicht: Ist das satanisch? Sondern: Was ist das überhaupt noch?

Wenn das „Dunkle“ zum Standarddesign der Popkultur geworden ist – ist es dann noch Gegenkultur? Oder nur der finale Stilcode eines Systems, das längst alles inkorporiert hat? Lady Gaga war nie naiv. Sie hat früh begriffen, dass das Spiel mit Transzendenz, mit Schock, mit Überhöhung nicht mehr in der Subkultur zu gewinnen ist – sondern nur noch im Maßstab der Massen. Doch was als ästhetische Blasphemie begann, wird im Stadium der Gigantomanie zur affirmativen Liturgie. Der Teufel auf der Bühne ist nicht subversiv, er ist Markenbotschafter eines Systems, das längst gelernt hat, wie man mit Licht und Schatten Umsatz macht.

Wenn der „Engel“ auf der Bühne nicht mehr als Hoffnungsträger erscheint, sondern als stilisierter Luzifer, ist das nicht mehr Protest – sondern Zynismus. Und vielleicht: Leere. Gaga verkauft keine Satansmesse. Aber sie imitiert sie – mit zu viel Eifer um sie als bloße Parodie zu entlarven, und mit zu wenig Inhalt, um sie als Mythos zu glauben.

In einer Welt, die längst von Bildüberflutung, Selbstinszenierung und digitalen Halbgöttern regiert wird, funktioniert der alte Teufel längst als vertrautes Betriebssystem. Man erkennt ihn nicht mehr an Hörnern, sondern an Klickzahlen.

Das Publikum? Es jubelt. Es singt. Es macht Reels. Es wird Teil des Rituals, ohne es – wirklich – zu wissen – oder gerade weil es es weiß.

Eine kollektive Simulation von Tiefe, getragen von Sound, Schweiß, Symbol und Licht. Alles ok, klar, kann man machen. Aber niemand sollte behaupten, das sei nur Pop. Denn wenn zwei Millionen Menschen sich einem Ritual hingeben – Ironie hin oder her – dann sollte sich keiner wundern, wenn irgendwas überspringt, statt einem Funken vielleicht ein Alp, ein Nachtmahr oder was Größeres…